but no one is going anywhere soon.

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the sidewalks are empty the bars and cafes too the streetlights only changing ‚cause they ain’t got nothing better to do
You say it’s like christmas when nobody’s around when our city was still a secret before those carpetbaggers came to town and
the airports and train stations are full of desperate people trying to convince the gate agents that not all emergencies are equal
but no one is going anywhere soon

Es gibt verschiedene Dinge im Leben, bei denen man das Risiko einkalkuliert, sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mindestens einmal im Laufe der Jahre zu verlieren: Den Job, das Herz, die Unschuld, das Portemonnaie, die Erinnerungen an letzte Nacht, einen nahestehenden Menschen, die eigene Würde.

Dann gibt es diese Dinge, von denen man glaubte, sie im Leben für immer sicher zu haben: Die Freiheit, hinzugehen wo man will und wann man will, die Möglichkeit, seine Freunde zu treffen oder mit Arbeitskollegen spontan ein Feierabendbier zu trinken, die Vorfreude – auf egal was, den nächsten Urlaub, die Hochzeit des besten Freundes oder einfach nur ein gutes Essen im Restaurant um die Ecke. Und: Musik.

Da war immer Musik in meinem Leben. Musik war mein Leben. Ich habe sie nicht gehört, ich habe sie geliebt, gebraucht, geatmet und darüber geschrieben. Sie war Input für Output, ein Prozess, der mich am Leben gehalten hat. Als Thees Uhlmann in 2019 sang, er habe 5 Jahre nicht gesungen, hatte ich 5 Jahre nicht geschrieben. Es war still, in mir und um mich. Die Platten, die mich in den 5 Jahren davor begeistert hatten, konnte ich an einer Hand abzählen. Musik und ich hatten uns irgendwie auseinandergelebt, und so auch das Schreiben und ich. Als ich in 2019 auf diesem Thees Uhlmann-Konzert war, war mit einem Lidschlag für einen Moment alles wieder da: Erwachsen werden mit Tomte, Songs, die mich bei jedem Schritt begleitet haben, Freunde, die ich durch Musik gefunden und unterwegs wieder verloren oder für immer behalten habe. Schlaflose Nächte in meiner alten Küche, betrunkene Nächte in der Mutter, traurige Autofahrten, glückliche Herbsttage, jeder Schritt, jede Erinnerung immer mit irgendeinem Song verknüpft. Eine Playlist im Kopf, ein Leben in Songs. An dem Tag im September 2019 hatte ich beschlossen, wieder zu schreiben.

Dann kam die Pandemie und auf einmal war alles anders. Das Leben nach außen komplett verloren, Stillstand im Innen, keine Sicherheit mehr, keine Erfahrungen und Erlebnisse mehr, kein Input, kein Austausch, keine Vorfreude, keine Kontakte mehr. Gefühle sind ein eher abstraktes Konstrukt geworden, das man besser nicht zulässt, weil es zu oft in einem „irgendwann können wir wieder“ oder „wie schön wäre es jetzt, wenn“ endete, einem Konjunktiv, der unterm Strich nur eins macht: Traurig und hoffnungslos.

So leer wie das Außen ist auch meine Erinnerung an das komplette letzte Jahr. Wo keine Musik, da kein Marker, woran soll man etwas fest machen, wenn nichts passiert, was man mit irgendwas verknüpfen kann, woran soll man sich erinnern, wenn doch außen nichts passiert und innen alles grau ist, woran soll man sich halten, wenn der pathologische Optimismus zwar hoffnungsvoll sagen will „Aber irgendwann wieder!“, aber die bittere Realität immer zynisch antwortet: „Ja, aber erst irgendwann.“ Wie soll man Musik finden, die in den Moment passt, wenn der Moment einfach nur „nichts“ ist.

Anfang des Jahres hatte ich tatsächlich einen wachen Moment. Jupiter Jones, eine meiner Lieblingsbands, verkündete eine Reunion nach über 8 Jahren und mit „Überall waren Schatten“ einen neuen Song (und ja, ich weiß ja, da gab es zwischendurch diese Zeit mit einem anderen Sänger. Ich habe diese Zeit nicht aus Boshaftigkeit oder Beleidigtsein darüber ignoriert, dass es eben einen anderen Sänger gab, es hat mich schlicht nicht so wirklich interessiert.). Ich bin an dem Tag bis Mitternacht wachgeblieben, um diesen Song direkt zum Release zu hören, und ich hatte das erste Mal seit sehr vielen Jahren wieder das Gefühl, dass Musik da etwas in mir macht, sich mit mir verknüpft und eine Erinnerung schafft. Nämlich die daran, wie ich im zweiten Jahr der Pandemie in meinem Wohnzimmer stehe, meinen Raucherbademantel an und ein Glas Wein in der Hand auf dem Weg zum Balkon, und sage: „Eines Tages werden wir auf einem Konzert stehen und dieser Song wird gespielt, wir werden schwitzend zwischen schwitzenden Menschen im dunkeln stehen, ein schales Fassbier in der Hand, alle werden mitsingen und sich freuen und wir werden an diesen bescheuerten Moment zurückdenken, als wir den Song das erste Mal hörten, als wir das Haus seit Monaten nicht verlassen hatten, als das Wort „Freunde“ gleichbedeutend war mit „vermissen“ und „Freude“ gleichbedeutend mit „Resignation“, und wir werden so unendlich froh sein, dass das endlich vorbei ist.“

Irgendwann wieder. Aber bis dahin geht erstmal für die nächste Zeit niemand mehr irgendwohin.

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