Hauptsache, ich bin kein Fisch

- über das Husum Harbour 2022 und die Welt drumherum

„Moritz Krämer und Matze Rossi beim Husum Harbour, da könnte man ja fast mal wieder überlegen, hinzufahren!“

Silvia an Marina, 12.12.2019

„Beim Husum Harbour wäre ich übrigens auch dabei, wenn du hinfahren möchtest.“

Marina an Silvia, 28.12.2019

„Husum Harbour wird im April wohl eher nicht stattfinden.“

Silvia an Marina, 18.11.2020

„Husum Harbour haben wir ja auch noch rumliegen, das wird im April wohl wieder mal nicht stattfinden.“

Silvia an Marina, 20.01.2021

„Wann treffen wir uns denn morgen am Bahnhof?“

Marina an Silvia, 01.04.2022





…fast 2 1/2 Jahre nach dem Ticketkauf passiert es: Am 2. und 3.4. findet mit 2jähriger Verspätung tatsächlich endlich die Jubiläumsausgabe zum 10. Geburtstag des Husum Harbour Festivals im Speicher Husum statt.

Rückblick: Musik war immer mein Leben, meine Luft zum Atmen, ich war nie ohne Playlist unterwegs und teilweise auf über 70 Konzerten im Jahr. In 2021 waren es 9 Konzerte, davon zwar viele, die mir emotional sehr wichtig waren – Sir Simon nach so vielen Jahren mit neuer Platte live sehen, Jupiter Jones zurück mit altem Sänger, Muff Potter wieder da mit neuem Gitarristen – aber auch ausnahmslos unter widrigen Umständen stattgefunden haben: Open Air im Regen mit Sitzplätzen und Regenschirmverbot, im Innenraum auf festgelegten Stehplatzpunkten mit Maske und Tanzverbot, auf dem Reeperbahn Festival mit mehreren Stunden anstehen und viel Abstand. Sperrstunde hier, Alkoholverbot da. Mir ist über die letzten Monate schlichtweg die Luft ausgegangen: Zwar war da einerseits dieser Drang, dass ich mich jetzt freuen wollte, dass endlich wieder Konzerte stattfinden, andererseits das schlechte Gewissen darüber, dass ich es teilweise wirklich furchtbar fand, klitschnass frierend im Regen zu sitzen, durch Regenponchos selbst vom Sitznachbarn komplett blickisoliert und gefangen in mir selbst. Musik ist immer auch ein Kollektiverlebnis, ein Moment, der Erinnerungen schafft, vor allem auch: gemeinsame Erinnerungen. Am Ende war es so weit, dass ich Musik nicht einmal mehr hören mochte, weil mir selbst beim Badputzen die Tränen kamen, wenn mich dabei ein Song an besonders tolle Abende erinnerte. Verschwitzt in Clubs, am tanzen und strahlen, um mich herum meine Freunde. Selbst die Freunde habe ich in den letzten zwei Jahren kaum noch gesehen. Zusätzlich: Nie wirkliche Vorfreude, weil beim Ticketkauf nie klar ist, ob das Konzert auch wirklich stattfindet, oder verschoben, verschoben und noch mal verschoben wird.

2. April 2022, Samstag morgen, ich liege im Bett und bin komplett überfordert, dass ich jetzt nach Husum und auf ein Festival fahren soll. Weil ich keine richtige Vorfreude hatte. Weil ich mich unvorbereitet fühle. Weil ich mich bei jedem Schritt vor die Tür frage, ob diese Aktivität so wichtig für mich ist, dass ich es dafür in Kauf nehmen würde, mich ein zweites Mal mit Corona zu infizieren. Weil ich mich schon vor 2 1/2 Jahren so darauf gefreut habe, mal wieder mit Marina wegzufahren. Weil ich mir das nicht nehmen lassen will. Weil selbst das Freuen an sich oder das Schuhe anziehen und losgehen manchmal einfach ein Kampf ist. Weil mich alles nervt und ich mich selbst, mit all den Ängsten und Gedanken, wo doch einfach nur Freude sein soll.

Fast forward zu ein paar Stunden später: Ich hatte gerade im starken Wind in der Sonne vor einer Pizzeria ein großes Glas Wein und finde, dass es Zeit ist, sich das Leben ein bisschen zurückzuerobern. Der Husumer Speicher ist angenehm gefüllt, viele der Menschen (auch ich) tragen freiwillig Masken, alle sind 2G + Test und der frühe Abend startet mit Jenobi. Mein erstes Konzert in 2022 also. Lilly among clouds ist Kategorie „muss ich mich in Zukunft mal mehr mit beschäftigen“ und stellt mich vor ein altbekanntes, langvergessenes Konzertproblem: Auf der Bühne singt jemand einen Song darüber, wie es den Helfern chronisch kranker Menschen geht, im Publikum sind die meisten Menschen am plappern (und außerdem noch sehr groß), ich stehe in der Mitte und kann mich selbst nicht fühlen hören. Ich habe das nicht vermisst, aber es ist irgendwie schön, dass auch das wieder da ist. Matze Rossi (erstmalig als Quintett, und das ist sehr sehr gut!) ist ein Phänomen: Matze hat Bock, seine Band hat Bock, das Publikum hat Bock und ich merke, wie in dieser ganzen Dynamik, in der aus dem Singer/Songwriter Matze Rossi eine Rockband wird, mein Musikherz langsam auftaut und die Angst ein bisschen kleiner wird. Diese strahlenden Gesichter vor und auf der Bühne, die kollektive Freude, das Gefühl, bei etwas tollem dabei zu sein – das ist, fällt mir wieder ein, was Musik für mich schon immer ausgemacht hat. Den Abend beendet Catt mit Klavier, Bläsern und einer Loopmachine – alles von ihr allein gespielt und bedient- und ich glaube und fürchte, dass das großartig ist, ich das aber viel zu wenig zu schätzen weiß: Ich bin das erste Mal seit über 2 Jahren seit 16 Stunden unterwegs und seit über 6 Stunden auf meinen Füßen, und ich bin das einfach fucking nicht mehr gewohnt. Ich schlafe in diesem fremden Hotelbett so fest wie ein kleiner angetrunkener Stein. Mit wunden Fersen.

Am Sonntagmorgen schließt sich ein Kreis: Wie auch Marina und ich war Moritz Krämer ebenfalls vor 10 Jahren schon beim Husum Harbour, auch da hat er das Frühkonzert gespielt. Weil hier nur Leute sind, die Bock haben, dafür rechtzeitig aufzustehen, bekommt Moritz Krämer auch in 2022 das Publikum, was alle Künstler an diesem Wochenende – oder ach, eigentlich immer, überall auf der Welt – verdient haben: Die Menschen freuen sich, dass er da ist, singen mit, hören zu, niemand nervt. Ein paar Kinder brabbeln vor sich hin und bekommen einen Song über Leander, den Frosch: „Leander hat sich’s nicht ausgesucht, dass er ein Frosch ist. Aber er ist Optimist und er glaubt an das Gute. Alles wird besser, als es ist. Hauptsache, ich bin kein Fisch.“ Ich hab das Gefühl, ich hab mir über die Pandemie ein ähnliches Mindset aufgebaut wie Leander, der Frosch – und ich hoffe, es kommen langsam wieder bessere Zeiten, die viele gemeinsame Erinnerungen schaffen. Alles wird besser, als es ist.

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